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    Language lab

    Aus der Wortschatztruhe I: Ausdrucksstarke Lesefrüchte

    Topic

    Aus der Wortschatztruhe I: Ausdrucksstarke Lesefrüchte

    Comment

    Als Leser neuhochdeutscher Literatur stößt man immer wieder auf schöne Wörter mit Patina, die man gern mit anderen Lesern teilen möchte. Dieser Faden soll eine Schatulle sein, in der man solche Wörter aufbewahreen und weitergeben kann.


    Aus "Ein springender Brunnen" von Martin Walser:

    überblüht, üppig bebust, unbeschuldbar, anschmatzen, piddeln, Getechtel

     

    Aus "Das blaue Bidet" von Joseph Breitbach:

    erlisten, ein schlappwellige Hutkrempe, Geweibsel, zermangeln, zwiescheinig

     

    Aus :"Am Himmel wie auf Erden" von Werner Bergengruen:

    hellhaarig, eine zur Breite neigende Erscheinung, Selbstgefangenschaft, Selbstentfremdung, Selbstzerwühlung, unterweilen (= bisweilen, manchmal; unterdessen, währenddessen), unvernehmlich, die Richte (landschaftlich gerade Richtung)

    -

    Aus "Jesus in schlechter Gesellschaft" von Adolf Holl:

    Vergottungsvorgang, Pastoralmacht, Priestertrug, bewuchern


    Author MiMo (236780)  09 Dec 22, 04:01
    Comment

    Manche Leute meinen, wenn ein Wort in Wörterbüchern als "veraltend" oder "veraltet" oder "dated" bezeichnet wird, dann sollte oder gar dürfte man es gar nicht mehr verwenden. Das ist verständlich in einer Gesellschaft, die überwiegend das Alte als "abzuschaffend" und die Alten als "Schmarotzer der Jungen" betrachtet, die möglichst bald das "sozialverträgliche Frühableben" durchführen sollten, damit die Jüngeren nicht so viel Rentenbeiträge zu zahlen hätten.


    Andrerseits gibt es auch andere, die das Alte, Bewährte, Erprobte schätzen und schützen gelernt haben und es beibehalten wollen. Zu ihnen gehören diejenigen, für die alte Wörter oft altehrwürdige, bildhafte, treffende Ausdrücke sind, die sie nicht aus dem Wort-Schatz tilgen und auch sich nicht zu zeitgemäßer Wortarmut bekehren wollen. Zu denen gehört der auch der Wortklauber, der diesen Faden eröffnet hat.


    (Als ich 12 Jahre alt war, das war 1955, riet mir ein erfahrener alter Sprach- und Schriftsteller: "Wenn du einmal Schriftsteller oder Übersetzer werden willst, dann solltest du dir ein Heft anschaffen, in dem du von Anfang als Lesefrüchte Wörter und Ausdrücke sammelst, damit ..." Das habe ich dann 68 Jahre lang getan.)


    Die heute hier an- und abgelegten Wörter stammen aus dem in Berlin und Brandenburg spielenden Roman "Am Himmel wie auf Erden", in dem Werner Bergengruen ein auch 2022 höchst aktuelles Thema behandelt: Eine drohende Klimakatastrophe! Aber schon im Jahr 1525, als man befürchtete, eine Flut könnte die Städte Berlin und Kölln samt Spandau und Köpenick hinwegspülen und halb Brandenburg überschwemmen.


    Bezeichnenderweise wurde der Roman 1940 von den Nazis verboten. War Bergengruen etwa ein verkappter "Klimaaktivist"? Und was war Johann Carion, der Hofastrologe von Kurfürst Joachim I. von Brandenburg?


    Hier mein Wortaufgeklaubsel aus einigen Kapiteln dieses Romans:


    Auszweigung

    Lebensverfluss

    Gewahrnis

    schlicht und richtig

    das Fließ = (berlinisch) der Bach

    Gegenwartsmacht

    Begegnis = Ereignis, Vorfall

    Irrsal

    Lebensgeröll

    Lebensschutt

    Lebenserschwernis

    Lebensäußerung

    Lebensantrieb

    verleiblichen

    Rückbleibsel

    ihre Zungenspitze tänzelte ...

    seelenschlaff

    Unentwirrbarkeit

    Unstimmung

    Verwickeltheit


    #1Author MiMo (236780) 13 Dec 22, 07:34
    Comment

    Vieles in Deiner Wörterliste sind aber Eigenschöpfungen der Autoren und keineswegs dereinst übliche, alltägliche, heute aber zunehmend aus Gebrauch kommende Wörter/Ausdrücke. Das ist etwas anderes.


    [Ich denke nicht, dass das Schreckensszenario der Abschaffung der Alten und des Alten mit ihnen real ist. Ganz im Gegenteil findet doch gerade in wirren, beunruhigenden Zeiten eine geradezu schwärmerische Hinwendung zum Althergebrachten statt, um darin Halt zu finden, siehe "Oide Wiesn", siehe all die Sammler von Oldtimern, Antiquitäten, siehe die ganzen Reenactmentgruppen, Mittelaltermärkte etc.]

    #2Author Selima (107)  13 Dec 22, 07:44
    Comment

    #2


    Eigentlich besteht die ganze Sprache überwiegend aus "Eigenschöpfungen" von Märchenerzählern, Geschichtenerfindern, Profeten, Lügnern und Dichtern ...


    Ja, die Jüngeren suchen im Althergebrachten Halt, aber die Alten (die alten Menschen) sind ihnen eine Last (siehe Rentendiskussion, wo so viele Junge klagen, dass die Alten ihnen das Lebensnotwendige wegfressen). Daher hat ja einmal ein Präsident der Bundesärztekammer das "sozialverträgliche Frühableben" ins Gespräch gebracht, und so mancher Junge hat mir schon gesagt: "Wenn ihr Alten nicht mehr da wäret, dann ginge es uns besser ..."

    #3Author MiMo (236780) 13 Dec 22, 11:34
    Comment

    Völlig OT, aber ich fände es besser, wenn du die Theorie von der gewünschten Abschaffung der Alten nicht einfach beiläufig als Tatsache in deine Kommentare einfließen lassen würdest. Ich empfinde das ganz anders und kenne haufenweise junge Leute, die sehr an ihren Großeltern hängen.

    #4Author Gibson (418762) 13 Dec 22, 11:48
    Comment

    ... so mancher Junge hat mir schon gesagt: "Wenn ihr Alten nicht mehr da wäret, dann ginge es uns besser ..."


    Echt?! Also in meinen Kreisen hab ich das noch niemanden sagen hören. Die Jungen hierherum sind superglücklich, dass die Alten in der Nähe sind. Das "sozialverträgliche Frühableben" wurde weiland ja auch ganz klar von weiten Teilen der Gesellschaft als Fehlgriff verurteilt.

    #5Author Selima (107)  13 Dec 22, 11:49
    Comment

    Selima hat meinen Edit verhindert. Ich wollte noch hinzufügen, dass es mir nicht darum geht, darüber eine Diskussion zu eröffnen (die ich für wenig sinnvoll hielte). Ich wollte lediglich anmerken, dass es eben eine Sichtweise ist und keine faktische Darstellung der Gesellschaft.

    #6Author Gibson (418762) 13 Dec 22, 11:51
    Comment

    Stimmt natürlich. Das gehört hier nicht her. Ich belasse es auch dabei.

    #7Author Selima (107) 13 Dec 22, 12:01
    Comment

    Ich möchte auch nicht, dass dieser Faden zu einer Diskussion über die Abneigung vieler junger Leute gegen alte Menschen wird (meine drei Enkel mögen mich sehr!), hier möchte ich aber drei Fakten, die ich erlebte und erlebe, einfach festhalten:

    1) Vor einigen Jahren gab es in Deutschland eine Diskussion über das Thema "Die Rentner nehmen den Jungen die Lebenschancen", bei der auch führende Vertreter politischer Jugendvereinigungen (Junge Union, Junge Liberale, Jungsozialisten) und eine Reihe jüngerer Journalisten diverser Blätter einfrig in das Horn geblasen haben, man solle die Renten senken, damit die Alten den Jungen nicht soviel Geld abnehmen.

    2) Ein sehr großer deutscher Konzern, in dem ich als Externer eine Werkvertragsaufgabe erledigte, entließ eines Tages alle Mitarbeiter, die älter als 50 waren. Das Pikante an der Sache war, dass damit auch Leute mit wichtigem Schlüssel-Knowhow entlassen wurden und wir (d.h. die kleine Softwarefirma, bei der ich damals mitarbeitete) dann engagiert wurden, um temporär die Arbeit der Entlassenen zu übernehmen. Der Konzern musste später auch wesentliche Teile des Unternehmens verkaufen, weil er in den entsprechenden Bereichen nicht mehr konkurrenztfähig war.

    3) Die verbale Anmache aggressiver Jugendlicher ("Geh doch auf den Friedhof, Alter!", "Hast du schon deinen Sarg bestellt?", "Unnützer alter Fresser") sind täglich in der U-Bahn, in bestimmten Kneipen und Diskos und auf den Fantribünen von Fußballstadien zu hören.


    Aber eine Diskussion über dieses Phänomen sollte in "Land und Leute" geführt werden; ich bitte, dass hier nur besondere Wörter und Ausdrücke in die Truhe gelegt werden und/oder Anmerkungen zu den schon eingebrachten Vokabeln.

    #8Author MiMo (236780)  13 Dec 22, 17:47
    Comment
    Ich weiß nicht, in was für Kneipen und Discos (heutzutage nennt man die eher „Clubs“) Du so verkehrst, ich habe so etwas noch nicht erlebt, selbst in Lokalen, in denen ich den Altersschnitt deutlich gesteigert habe und durchaus ein „jetzt kommen die schon zum Sterben hierher“ drin gewesen wäre.

    Und dann gibt es ja noch die Senior*innen, die ständig schlecht über „die Jugend“ reden, weil „die Jugend von heute“ so respektlos/unhöflich/schlecht gekleidet/laut/… sein soll, und überhaupt, damals hat man noch etwas gelernt in der Schule, und es gab noch Disziplin, und es gab auch noch schöne Musik und nicht so einen Krach, und diese Frisuren und Haarfarben, einfach unmöglich… sollen doch erst einmal etwas Vernünftiges lernen und einmal richtig arbeiten, dann können sie vielleicht mitreden… Na, soll ich weitermachen?
    #9Author Dragon (238202)  13 Dec 22, 18:25
    Comment

    re #9, ja, seit gefühlten Jahrhunderten ist das das Leid und Lied der Alten über die Jugend ...

    scnr ! :-)

    #10Author no me bré (700807) 13 Dec 22, 18:30
    Comment

    Es tut mir leid, dass du sowas zu hören kriegst, Mimo, aber ich würde es nicht persönlich nehmen. Wir haben damals auch gesagt: "Brennt das Altersheim?" wenn jemand über 40 (!) es wagte, in der Disco Spaß zu haben. (Allerdings nicht zu den Leuten, dafür hatten wir dann doch zu viel Erziehung genossen.) Aber dass für Menschen unter Zwanzig der Rest der Welt steinalt und tendenziell irrelevant bzw. ein Störfaktor ist, ist nicht neu, finde ich. Das gab's schon immer, und wenn die Jungen dann irgendwann alt sind, kriegen sie es zurück ;-)


    Mimo, am besten startest du deinen Faden noch mal, ohne Kommentar. Ich weiß nicht, ob hier noch viel in deinem Sinne passiert oder es eben doch eher um die Generationenfrage gehen wird.

    #11Author Gibson (418762) 13 Dec 22, 18:51
    Comment

    ---> #11 "MiMo, am besten startest du deinen Faden noch mal, ohne Kommentar. Ich weiß nicht, ob hier noch viel in deinem Sinne passiert oder es eben doch eher um die Generationenfrage gehen wird."


    Danke, Gibson, das werde ich tun. Und einen Faden in "Land und Leute" zur "Generationenfrage" eröffnen ...


    Nur noch eine Schlussbemerkung zum ungewollten Nebenthema: Die flapsigen bis aggressiven Bemerkungen über die Alten berühren mich eigentlich nicht; ich beobachte und vermerke sie nur mit Bedauern, weil sie mir als Symptome einer gesellschaftlich gelenkten Altenfeindlichkeit erscheinen. (Das Grundmotiv dafür stiften ja die Politiker, die über die "Überalterung der Gesellschaft" stöhnen. Dass schon im alten Lande Sumer laut Keilschrifttafeln um 3200 BC über die mangelnde Ehrfurcht vor dem Alter geklagt wurde, ist mir auch bekannt.)

    Wenn mir ein junger Mensch in Bus oder U-Bahn einen Sitz anbietet, was gelegentlich noch vorkommt, dann sage ich immer: "Ach, bleiben Sie nur sitzen, ich muss ja den ganzen Tag von Berufs wegen sitzen (Übersetzer und Autor), deshalb bin ich froh, dass ich mal ein bisschen stehen darf ..." (Und ich bin froh, dass ich nicht mehr 20 bin ...)


    (Und ich bin froh, dass ich bei Bergengruen schöne Wörter sammeln darf ...)


    #12Author MiMo (236780) 16 Dec 22, 05:39
    Comment

    Ich werde in deinem neuen Land-und-Leute-Faden ein paar meiner Gedanken aufschreiben, MiMo, möchte aber hier trotzdem



    Bei meinen drei Kindern und mir lief das unter "...und du warst so ein süßes Kind" immer dann besonders laut und häufig, wenn sich insbesondere meine Zwillingssöhne und ich sich in ihrer Pubertät gar nicht mehr verstanden. Dann gab es IMMER die gemeinsame Hör- und Tanzpflicht, und spätestens bei dieser Textzeile lagen ALLE vor Lachen unter dem Tisch, und es war wieder Redebereitschaft auf beiden "Seiten" vorhanden. Hat sich übrigens total verwachsen mit ihrem Widerspruchsgeist 😂...



    Zu #1 das Fließ = (berlinisch) der Bach

    Kann ich bestätigen; ist aber mMn weder Bergengruen-spezifisch noch mit Patina besetzt. Ich bin im Norden Berlins aufgewachsen, ganz in der Nähe des Hermsdorfer "Fließ"tals, einem Sumpf- und Naturschutzgebiet, für uns Kinder Naherholungsgebiet und Freiluftspielplatz allererster Sahne.



    #8 3) Die verbale Anmache aggressiver Jugendlicher ("Geh doch auf den Friedhof, Alter!", "Hast du schon deinen Sarg bestellt?", "Unnützer alter Fresser") sind täglich in der U-Bahn, in bestimmten Kneipen und Diskos und auf den Fantribünen von Fußballstadien zu hören.


    Ich bin Jg. 1965, habe insgesamt ca. 50 Jahre meines Lebens größtenteils im Zentrum Berlins verlebt, und habe weder in der Berliner U-Bahn, noch in bestimmten (welchen ??) Berliner Kneipen und Diskos - und von beidem kenn ich wirklich viele - verbale Anmache aggressiver Jugendlcher erlebt. Wirklich nicht. Hab so etwas auch nie von meinen Berliner Freund:innen gehört. Okay, auf Fantribünen von Fußballstadien hab ich mich vergleichsweise wenig rumgetrieben... diese Erfahrungswerte hab ich nicht. 😏


    Sag mir mal bitte, in welchen U-Bahnen, Kneipen, Diskos und auf welchen Fußballfantribünen du dich so aufhältst, lieber MiMo, da geh ich bei meinem nächsten D-Besuch hin und sch..ß die mal richtig zusammen, so à la alte Berliner Altaggrogöre und Schreckschraube... Ist ja wirklich unerhört, so was.

    #13Author karla13 (1364913)  17 Dec 22, 01:30
     
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