Der Tagdieb und der Nachtdieb - 7. Teil
1. Teil siehe Anfang
2. Teil siehe #12
3. Teil siehe #38
4. Teil siehe #54
5. Teil siehe #66
6. Teil siehe #77
Amüsiert hörte sich Al Muthallah die Streiche ihrer Männer an, und erst als sie aufgefordert wurde zu entscheiden, wer von beiden gerissener sei und wen sie deshalb als ihren rechtmäßigen Ehemann behalten wolle, wurde sie ernst. Wieder blickte sie vom Tagdieb zum Nachtdieb, und vom Nachtdieb zum Tagdieb, und schüttelte hilflos den Kopf: "Beide seid ihr unnachahmbar. Ihr reicht euch beide das Wasser. Wie sollte ich mich da entscheiden können? Ich kann es nicht, ich kann einfach nicht"
Aber damit ließen sich die Männer nicht abspeisen. Hier und auf der Stelle habe sie, wie abgemacht, jetzt endlich die Entscheidung zu treffen.
"Ach wisst ihr," beschied sie schließlich die Frau. "Könntet ihr nicht vielleicht noch eine zweite Probe liefern? Ich denke, indem ich dann beide Proben zusammennehme, wird mir die Entscheidung sicher leichter fallen".
Nun gut, nur ihr zuliebe und ausnahmsweise!. Aber dass eines klar sei: Es sei das unwiderruflich letzte Mal. Und damit zogen die beiden wieder ab.
Wieder war die Reihe am Tagdieb und diesmal setzte er sich ans Stadttor von Kairo, beobachtete scheinbar gelangweilt die Menschen, die die Stadt betraten oder sie verließen. So saß er eine, zwei, drei Stunden herum, und dem Nachtdieb, der ihn von ferne beobachtete, wurde das Warten lang. Bis schließlich ein Türke in die Stadt ging, der Tagdieb aufstand und dem Fremden folgte, denn ein kurzer Blick hatte genügt, um an der gewölbten Manteltasche zu erkennen, wo des Türken Herz schlug.
Der Tagdieb schob sich an die Seite des türkischen Herrn, wie zufällig glitt seine linke Hand über die Auslage eines Gemüsehändlers, und ließ eine Gurke mitgehen, während seine Rechte einen prallen Beutel aus der Manteltasche des Türken zog. Gleich darauf schob die Linke die Gurke in die leere Tasche und schon wölbte sich die Manteltasche wie zuvor und nicht das Geringste ahnend schritt der Türke weiter. Der Tagdieb aber setzte sich ans Stadttor wie zuvor.
"Was soll das heißen?" flüsterte neben ihm der Kollege.
"Nun warte doch ab, mein Freund!"
Sie mussten nicht lange warten. Der Türke war inzwischen in den Laden eines Tuchhändlers getreten, hatte Stoffe begutachtet und ausgewählt, und als es ans Bezahlen ging, in die Manteltasche gegriffen. Aber was zog er statt des Geldbeutels heraus? Eine dicke bauchige Gurke.
Der Türke verbarg seine Verwirrung. In der Eile des Aufbruchs habe er ganz vergessen, das nötige Kleingeld einzustecken, der Händler möge ihm doch die Stoffe verwahren binnen kurzem werde er zurückkehren, um die Rechnung zu begleichen. Und damit ging er. Diesen Streich musste ihm seine Frau gespielt haben! Hatte er ihr nicht unmissverständlich aufgetragen, ihm den Mantel für den Ausgang zu reinigen und mit einer runden Summe zu bestücken? Na warte, der wird er den Marsch blasen!
In dieser Verfassung hastete er durch das Stadttor heimwärts. Mit einem kurzen Blick las ihm der Tagdieb den Ärger von Gesicht und Haltung ab, stand auf und folgte ihm. Seine Rechte befreite den Türken von der verwünschten Gurke, die Linke gab ihm sein Eigentum zurück, und kaum war es getan, setzte der Dieb sich wieder ans Stadttor und wartete.
Zu Hause angekommen, rief der Türke nach seiner Frau: "Was habe ich dir befohlen, mir in die Tasche zu packen?"
Selbstredend hatte sie ihm wie gewünscht den vollen Beutel im Mantel verstaut.
"Und wie erklärst du dir dann, dass ich eine Gurke darin finde?"
Wie bitte? Was faselte da der Mann von einer Gurke? Wortlos griff die Frau in die Manteltasche, und was zog sie heraus? Den Geldbeutel.
"Na so was! Eben war's noch eine Gurke!" Aber wie auch immer, Hauptsache, das verschwundene Geld war wieder aufgetaucht. Mit Riesenschritten machte sich der Türke auf den Rückweg zum Tuchladen.
Dieser Weg aber führte nun wieder durchs Stadttor, und dort saß noch immer der Tagdieb und erst der Türke lockte ihn wieder von seinem Platz. Er folgt ihm einige Schritte, die eine Hand greift sich den Beutel, die andere ersetzt sie durch die Gurke, und schon kehrt er wieder auf seinen Posten zurück.
Und was zieht der Türke aus der Manteltasche, als er in den Laden tritt, die ausstehende Rechnung zu begleichen? Die gottverdammte Gurke. Schneller als er sie herausgezogen hatte, ließ er sie wieder verschwinden. Er stammelt von einem doppelten Versehen und schon hetzt er nach Hause. Dieses durchtriebene Luder von Frau! Wie immer sie es gedreht haben mochte, diesmal würde er ihr dieses böse Spiel nicht mehr durchgehen lassen.
Wenn er nur nicht wieder hätte durchs Stadttor gehen müssen! Denn dort verwandelte die Fingerfertigkeit des Tagdiebs die verwünschte Gurke zurück in den prall gefüllten Beutel. Wie stand der Türke da, nachdem er wutschnaubend auf die Frau losgegangen war und geschworen hatte, ihr diesen Streich niemals zu verzeihen, die Frau aber wieder wortlos in die Tasche gegriffen und den Beutel herausgezogen hatte. "Was hast du denn? Da ist er ja". Ungläubig den Beutel abtastend schwor der Mann, dass er eben noch eine Gurke, davor aber ein Beutel und wiederum vorher schon einmal nichts als eine dicke bauchige Gurke gewesen war.
Offenbar roch die Frau den Braten. "Hör zu!" meinte sie. "Du nimmst dir jetzt besser einen Diener mit". Dieser Diener hatte den Beutel in seiner Manteltasche zu verwahren und den ganzen Weg über eine Hand auf der Wölbung der Tasche zu halten. Er selbst solle dem Diener folgen und ihn nicht aus den Augen lassen, so werde er genau beobachten, was mit dem Beutel vor sich gehe. Was für ein Glück, dass er solch eine kluge Frau hatte! "Ein guter Rat, wirklich ein sehr guter Rat".
Als ob der Tagdieb am Stadttor von Kairo nicht auf einen Blick gesehen hätte, was gespielt wurde! Er stand auf und diesmal folgte er dem Gespann bis in den Bazar, wo sich die Menschen durch die engen Gassen drängten. Wie aber hätte der Diener dort die strikte Anweisung, die Hand unter keinen Umständen von der Manteltasche zu nehmen, noch befolgen sollen? Wenigstens kurz musste er mit seiner Hand sich und seinem Herrn einen Weg durchs Gedränge zu bahnen. Das war es, worauf der Tagdieb wartete. Scheinbar von den Nachdrängenden geschoben ging er zwischen die beiden, trat dem Türken auf einen Fuß und entschuldigte sich und gestikulierte mit der rechten Hand vor dem Gesicht des Türken herum. Inzwischen stahl sich seine Linke in die unbewachte Manteltasche des Dieners, zog den Beutel heraus, verstaute die Gurke an seiner Stelle, und schon verschwand der Tagdieb mit der Andeutung einer Verbeugung, während der Türke endlich wieder seinen Diener zu Gesicht bekam und zufrieden feststellte, dass dessen Hand weiter auf der Manteltasche ruhte.
Endlich im Laden angekommen befiehlt er ihm, den Beutel hervorzuholen. Aber was zieht der arme Kerl aus der Tasche? Die Gurke. Endlich hat der gefoppte Türke jemanden, an dem er seinen Zorn auslassen kann. "Du also hast mir diese Streich gespielt! Na warte nur, du Schurke, dir werde ich zeigen, wie man sich über seinen Herrn lustig macht!" Von draußen beobachtet der Tagdieb den Laden, und ehe der wütende Herr dem verwirrten Diener an den Kragen gehen kann, stürzt der Tagdieb in den Laden. "Verzeihung, mein Herr, vergreift Euch nicht an diesem unschuldigen Menschen! Ich war es, der Euch den Beutel in eine Gurke und die Gurke wieder in den Geldbeutel verwandelt hat."
"Wie, und das wagst du mir auch noch ins Gesicht zu sagen?" Der Türke staunt über die Dreistigkeit dieses Gauners. Aber bevor er den Kerl verhaften lässt, möchte er doch gar zu gerne wissen, wie er es anstellte, ihn derart hinters Licht zu führen. Erfreulicherweise zeigt der Dieb auch nicht die geringste Scheu, es ihm zu erklären. "Kommt nur mit aus dem Laden!" Und als sie auf die Straße hinaustreten, tritt der Dieb hinter den Türken: "Es war eigentlich ganz einfach. Ich folgte Euch, genauso wie ich das jetzt mache. Dann griff ich mit der rechten Hand in eure Manteltasche, genauso, wie ich das jetzt mache. Mit der Linken aber schob ich Euch, genauso wie jetzt, die Gurke in die Tasche. Dann blieb ich zurück und machte mich zwischen den Passanten davon, genauso wie ich das jetzt mache".
Tatsächlich, so konnte es gewesen sein! Was für ein gerissener Lump! Höchste Zeit, dass er aus dem Verkehr gezogen würde! Aber Moment, wo war er nur? So sehr sich der Türke nach allen Seiten umblickte, von dem Gauner war nichts mehr zu sehen. Er hatte sich im Gedränge davongemacht und blieb mitsamt dem Beutel verschwunden.
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