Eigentlich hat CM2DD schon alles dazu gesagt, was auch mir spontan dazu einfällt. Ich kann das alles nur bestätigen, daher nur einige Ergänzungen, die vor allem auf Belletristikübersetzungen zutreffen. Und natürlich kann ich dabei nur für mich und meine Erfahrungen sprechen.
Wie realistisch ist dieses starke Aufgehen in der Übersetzungsarbeit?
Erlebt ihr, wenn ihr Belletristik übersetzt, es ähnlich?
Antworten: Durchaus realistisch und ja.
Wenn ich mich als Übersetzer/in nicht ganz und gar auf den Autor, auf die Handlung und die Charaktere einlasse, mitfühle, praktisch mitlebe, dann wird das nichts. Dabei ist es unerheblich, ob mir persönlich, also als private/r Leser/in, dieses Werk gefällt oder nicht. Viele der von mir übersetzten Bücher hätten nie den Weg in mein Bücherregal gefunden, wäre ich nicht zum Übersetzen beauftragt gewesen. Aber ich gebe offen zu, dass ich schon hin und wieder am Schluss des einen oder anderen ziemlich banalen Liebesromans mit Happy End ein paar Tränchen vergossen habe, und ebenso beim Übersetzen des einen oder anderen Thrillers Alpträume hatte ...
Natürlich gehört es auch dazu, beim wirklich sehr gründlichen Lesen jedes Satzes Fehler zu erkennen und - in Absprache mit dem Lektorat des Verlags - entsprechend in der Übersetzung auszumerzen, auch wenn man damit in den Text des Autors eingreifen muss. Das betrifft jedoch hauptsächlich inhaltliche Fehler. (Ich nenne hier als Beispiel immer gern den auf Seite 8 erwähnten roten Pullover, der auf Seite 9 plötzlich grün ist.) Erkennen muss der Übersetzer aber auch, ob bestimmte grammatikalische "Fehler", merkwürdige Ausdrücke, eine ungewöhnliche Satzstellung etc. ein Stilmittel des Autors sind und entsprechend übertragen werden müssen, oder ob es sich tatsächlich um Fehler handelt. Da wir im Deutschen viel stärker mit Wiederholungen hadern, als das im englischsprachigen Raum der Fall ist, muss oft auch etwas ersetzt, gekürzt oder gestrichen werden. (Ich spreche hier, wie gesagt, von Belletristik.)
Meine eigene Sprache hat das jahrzehntelange Übersetzen von Romanen jedoch nicht beeinflusst. Das glaube ich zumindest. Beschäftigt man sich im Zuge einer Übersetzung lange mit einem oder mehreren bestimmten "neuen" Ausdrücken, kann es aber schon vorkommen, dass man diese unwillkürlich in dem entsprechend Zeitraum auch in privaten Gesprächen verwendet. Das legt sich meistens aber rasch wieder.
Kann man sich das zeitlich und einkommensmäßig überhaupt leisten?
Leicht ist das nicht. Beim zeitlichen Aspekt hilft die Routine, beim finanziellen ein gutverdienender Partner oder andere Einnahmequellen ...
Wer, wie ich, über Letzteres leider nicht verfügt, ist immer am Kämpfen, vor allem in einer teuren Großstadt wie München. Hinzu kommt auch, dass es jederzeit aus diversen Gründen eine Auftragsflaute geben kann, die man sich als Literaturübersetzer nicht leisten kann. Ein zweites Standbein ist also empfehlenswert!
Ich habe in anderen Fäden zu diesem Thema schon öfter erwähnt,, dass ich früher diverse Nebenjobs angenommen habe, um mir meinen Traumberuf als Literaturübersetzerin leisten zu können. Alters- und gesundheitsbedingt wird das im Laufe des Lebens natürlich nicht einfacher, und die Nebeneinnahmen fallen irgendwann weg. Dann kann man nur hoffen, dass man bei mehreren Verlagen einen Fuß in der Tür hat, regelmäßig Aufträge bekommt und damit seinen Lebensunterhalt einigermaßen bestreiten kann. Und ganz ehrlich: Manchmal kann man sich stundenlanges Grübeln über einen bestimmten Ausdruck dann einfach nicht mehr leisten - weder zeitlich noch finanziell. Traurig, aber wahr!