Da es keine weibliche Form gibt, wurde auch nichts ausgeweitet.
Was bedeutet denn "es gibt keine weibliche Form"? Die Gästin existiert schon bei Grimm, wird dort als weiblicher Gast* definiert, bis aufs Althochdeutsche zurückgeführt und als "wenig gebraucht" bezeichnet. Die Formbildung ist völlig regulär, gegen die Verwendung spricht nichts -- außer der Tatsache, dass das Wort, aus welchen Gründen auch immer, unüblich ist.
(*)Daran sieht man gut, dass ein Gast ohne diese Endung nicht automatisch männlich ist, denn sonst wäre ja weiblicher Gast ein Widerspruch in sich. Genau dieses Missverständnis der Feminisierungs-Endung -in, löst heute die ganzen Gendersprache-Verrenkungen erst aus.
Und warum gibt es die Menschin nicht? Das Wort kommt in der Sprache nicht vor, weil wir es nicht brauchen. Ein weiblicher Mensch ist eine Frau oder ein Mädchen, für eine Feminisierung des Wortes Mensch sehen wir keine Notwendigkeit (obwohl es m. E. durchaus sinnvoll sein könnte, von Menschinnen zu sprechen, wenn Frauen und Mädchen zusammengefasst werden sollen).
Ob es eine Form "gibt" oder nicht, entscheidet nicht eine höhere Macht (und nur selten die Struktur der Sprache), sondern die Gesamtheit der Sprecher, und die kann ihre Meinung ggf. auch schnell ändern. Insofern finde ich das oft gehörte Argument "Das Wort hat ja keine weibliche Form, deshalb ist klar, dass es sich auf Männer und Frauen bezieht, auch wenn es grammatisch männlich ist" wenig überzeugend.
Ist ein Lehrling männlich oder weiblich? Die meisten werden sich spontan einen jungen Mann vorstellen. Und das, obwohl es eine weibliche Form "Lehrlingin" nicht gibt, und zwar in diesem Fall tatsächlich aus sprachlichen Gründen: Ableitungen auf -ling werden niemals feminisiert. Der Liebling hingegen funktioniert für beide Geschlechter gleichermaßen. Ein Mann, der seine Frau als "mein Liebling" tituliert, wird dadurch nicht zum Geschlechtschauvinisten. Aber was ist denn der Unterschied zwischen "Lehrling" und "Liebling"?
Die Antwort ist ganz einfach: es ist unsere Erwartungshaltung. Es ist einfach tief in unseren Köpfen verankert, dass Lehrlinge männlich sind, obwohl es nie stimmte: Schon immer gab es auch "Lehrlingsmädchen", vornehmlich in "frauenaffinen" Berufen wie etwa dem Schneidergewerbe. Ebenso waren nahezu alle Berufe über die Jahrhunderte mit Männern assoziiert, weil sie eben ganz überwiegend von Männern ausgeübt wurden. Mit dem Lehrling sind wir aus dem Schneider (oder aus der Schneiderin?), weil er heute sowieso nicht mehr verwendet wird und das Wort allmählich veraltet. Bei anderen Berufen ist diese Männerassoziation aber immer noch sehr präsent. So können wir nicht umhin, unter einem Arzt einen Mann mit Stethoskop und weißem Kittel zu verstehen, obwohl ebenso viele Frauen diesen Beruf ausüben. Das grammatische Geschlecht zwingt uns nicht zu dieser Assoziation, denn wie gesagt, bei maskulinen Substantiven wie Mensch oder Gast, aber auch Pronomen wie jemand oder wer haben wir sie ebenso wenig wie umgekehrt bei femininen Substantiven wie Person, Geisel oder Waise.
Wenn wir uns an veränderte gesellschaftliche Strukturen anpassen wollen, müssen wir nicht die Sprache "vergewaltigen", sondern unser Denken anpassen. Wer argumentiert, dass dies nur über die Sprache gelingen kann, der soll bitte bedenken, dass gerade die konsequente "Parallelisierung" in der Art Schülerinnen und Schüler, Bürgerinnen und Bürger, Ärztinnen und Ärzte, die Geschlechter-Diskriminierung (im eigentlichen Sinne) regelrecht zementiert. Völlig in die falsche Richtung läuft so etwas dort, wo ein Geschlechtsdenken gar nicht existiert (oder bisher existiert hat), nämlich bei per se als geschlechtsfrei empfundenen generischen Pluralen wie Zuschauer, Einwohner, Forscher oder Bürger.
Die Herausforderung einer veränderten Gesellschaft, in der Geschlechter immer weniger eine Rolle spielen, ist, die Geschlechtlichkeit allmählich aus dem Denken herauszubekommen und dies womöglich durch kleine sprachliche Anpassungen zu stützen. Was wir mit der sogenannten Gendersprache tun, ist aber das genaue Gegenteil. Wir manifestieren die Geschlechtlichkeit in allen Bereichen der Sprache und manövrieren uns dadurch immer tiefer in die Sackgasse.