Schönes gesehen, beobachtet
In einem Münchner "Interimsveranstaltungsort", u.a. einer halb ausgelagerten Bibliothek, stehen in der Etage mit der Musikbibliothek und den unzähligen Musiknotenheften zwei E-Pianos, die man bespielen kann: Man macht das mit Kopfhörern - hörbar für die Umliegenden ist nur das dumpfe Tocktock-tocktocktock-Geräusch der gedrückten Tasten.
Letzthin war ich dort und saß in der Sitzlandschaft; las in einem Buch. Im Blickfeld hatte ich einen Mann, der da wohl schon lange auf einem der Pianos auf die Tasten einhämmerte. Ich war fasziniert... Da saß ein Typ ein bisschen wie gealterter Rockstar. Ungewöhnlich für die location. Er war sicher über 65 oder 70, man sah es am Gesicht. Halblanges Haar wasserstoffblond, von einem 80er-Jahre anmutendem Stirnband gebändigt. Er war sehr gebräunt - was man an seinen muskulösen Armen sah, da er ein ärmelloses (!) schwarzes T-Shirt trug, Eighties Style. Die Muskeln bewegten sich beim Spiel, weil er so kräftig in die Tasten griff.
Untenrum Jogginghose. Rucksack und Tüte am Boden verstreut.
Die ganze Erscheinung rief in mir das Bild eines ehemals professionellen Keyboarders hervor. Zu gern hätte ich gehört, was er die ganze Zeit spielte. Er guckte auf kein Notenheft. Ging er ein ganzes Deep-Purple-Konzert durch? War er mal bei "Embryo"? Soff er mit Clapton oder mit Den Ärzten? Oder spielt er noch für Marianne Rosenberg, die demnächst in der Isarphilharmonie auftritt? Who knows!
Als er ging, sah ich, wie der gerade diensthabende junge Bibliotheksmitarbeiter - selber mit einer coolen Kosakenfrisur - dem Typen hinterherschaute. Und als ich später draußen war, an der Ampel wartend, stand Rockstar auf einmal zwei Meter neben mir. Ich guckte ihn von der Seite an, überlegte, ob ich ihn ansprechen soll. Rockstar guckte aber finde ich arg "grim", und als er mich kurz musterte, guckte ich schnell wieder weg.
Scho' schad!