Zu ##15-22:
Ich glaube eigentlich nicht, dass die Konkurrenz zwischen Konjunktiv I, Konjunktiv II, der "würde"-Form und dem Indikativ bei der indirekten Rede ein Phänomen aktuellen Sprachwandels ist (oder muss es heißen: sei?). Das gibt es schon sehr lange, und das ist m. E. auch eins der unklarsten Kapitel der deutschen Grammatik. In kaum einem anderen Punkt sind sich die Grammatikwerke ähnlich uneinig darüber, was auf welcher Sprachebene "richtig" ist (sei?) und was nicht, ob der Konjunktiv inhaltliche Distanz ausdrücken kann (könne?) und was unter indirekter Rede überhaupt zu verstehen ist (sei?).
Einige Formen des Konjunktivs werden schlichtweg nicht verwendet, obwohl sie eindeutig sind, und das nicht erst seit gestern. Meiner Erfahrung nach existiert die 2. Person (Sg. und Pl.) des Konjunktivs I ausschließlich in Flexionstabellen (vielleicht abgesehen von seltenen Ausnahmen bei sein und haben und wenigen uralten Texten*). Dabei wären Sätze wie
Ich habe gehört, du wollest nicht mitkommen
Vater sagt, ihr laufet beim Berlin-Marathon mit
regelkonform und eindeutig. Aber sie kommen nicht vor, weder mündlich noch schriftlich, auf keiner Sprachebene. In diesen Fällen wird entweder der Konjunktiv II oder der Indikativ verwendet.
Wenn es um Sprachwandel im Zusammenhang mit Konjunktiv geht, dann fällt mir hingegen die Form "bräuchte" ein, die sich mehr und mehr etabliert und vom Duden schon als standardsprachlich korrekt bezeichnet wird. Weiterhin wird brauchen mehr und mehr zum Modalverb: "du brauchst nicht kommen" gilt mittlerweile schon als korrekt, und das Weglassen des -t in der 3. Person ("er brauch") wird wohl auch bald offiziell akzeptiert.
(*) Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest
Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl