Interessant finde ich an Raudonas Beitrag, dass die aktuell von der Mehrzahl als richtig empfundene Sprechweise als "verdreht" und die an andere Sprachen angepasste Weise als "sinnvoll" bezeichnet wird, und damit automatisch eine Wertung einfließt.
Die Werte nach dem Komma werden deshalb in der Reihenfolge (und insbesondere auch wichtig: Ohne Interpretation!) genannt, weil eine "zweikommadreiundzwanzig" nun mal mehr ist als eine "zweikommahundertzwölf" und weniger als eine "zweikommafünf". Die Ziffern nach dem Komma sind also jede für sich alleinstehend, bilden also nicht den Zusammenhang, den die Ziffern vor dem Komma ergeben. Eine argumentative Verknüpfung dieser Umstände wäre so als würde man sagen "Seltsam, dass die Erde nur einen Mond hat, Saturn hat ja auch wesentlich mehr". Insbesondere werden bei langen Ziffernfolgen nach dem Komma dadurch die Werte nicht größer oder kleiner, anders als vor dem Komma, wo die Stellenanzahl die Größenordnung der Zahl angibt. Und während der Wert vor dem Komma "natürlich" ist, ist der Wert nach dem Komma ein mathematisches Konstrukt, um Teile eines Ganzen darstellen zu können. Der Nachkommaanteil einer Größe hat also sprachlich bei weitem nicht eine dermaßen lange Entstehungsgeschichte wie der Vorkommaanteil.
Zum Thema, warum wir bei zweistelligen Zahlen die Zehnerstelle erst zuletzt nennen, fällt mir ein, dass was zuletzt genannt wird, einen größeren Eindruck beim Hörer hinterlässt (weil besser im Gedächtnis) als das erstgenannte, und insofern die zur Verdeutlichung der Größe wichtigere Information diese aufmerksamkeitswirksamere Position erhält. Der durchschnittliche Informationsempfänger hatte wohl während der Entwicklung dieser Spracheigenschaft keine Notwendigkeit, sich über die Größenordnung dreistelliger Zahlen Gedanken zu machen, man sagt ja auch dass Vorstellungen von Zahlen jenseits von Tausend erst durch die Verschuldung (und Inflation) der Weltkriege überhaupt in den Kopf der Durchschnittsdeutschen kam (also wer größere Zahlen kannte, hatte auch beruflich damit zu tun), die Theorie ist also durchaus schlüssig.
Ohne jetzt irgendjemand auf die Füße treten zu wollen oder ein komplett neues fass aufzumachen, habt Ihr Euch mal überlegt, wieso überhaupt eine rein additive Zahlensprechweise vorherrscht? Also wieso heißt es "siebenunddreißig" und nicht "dreivorvierzig"? Die Ziffernschreibweise im Dezimalsystem wäre damit zwar etwas komplizierter, und zugegeben, wäre moderne Mathematik ohne ein einheitliches Stellensystem vermutlich nicht denkbar, aber auch derartige Zahlendarstellungen sind ja die Grundlage der römischen Ziffern, wenn die 4 nicht mehr als nicht mehr als 4x1 (IIII) angezeigt wird, sondern als eine 5-1 (IV), gab es also ebenso in der Geschichte. Mit derartigen Argumentationen ist in der "dreiundzwanzig oder zwanzigdrei"-Diskussion also auch kein Blumentopf zu gewinnen.
Eine "beachtliche" Fehlerquelle sehe ich in der Stellung der Ziffern auch beim Diktieren nicht. Klar, wenn man eine Zahl vor sich stehen hat, und diese diktiert, kann man durchaus sagen "dreiundzwanzig, also zwo drei" Da ist dann aber auch der Gedanke dahinter, dass jemand eine bestimmte Darstellung der Zahl aufschreiben muss, nicht eine Vorstellung des Wertes erzeugen. Also ähnlich wie man auch eine Personalnummer, PLZ oder IBAN Ziffer für Ziffer diktiert. Dies ist aber durchaus von der Intention zu trennen, einen Größenwert benennen zu wollen. Nicht alles, was aus Ziffern besteht, ist eine Zahl!
Edit: Der "Unsitte" Telefonnummern in Zweiergruppen als Wert vorzulesen, kann ich auch nichts abgewinnen, meine Telefonnummer ist nach dem Schema ABCADC aufgebaut, natürlich diktiere ich die als 2 3er-Gruppen in denen sich nur die mittlere Ziffer ändert. Und wenn dann Rückfragen kommen, weil die "künstlich" in 3 2er-Gruppen aufgeteilt wurden...