So, ich habe „Passing“ nun auch zuende gelesen.
Das Thema Passing in der Literatur war für mich nicht unbekannt, es ist u.A. ein immer wiederkehrendes Thema in den Büchern von Fannie Flagg (Fried Green Tomatoes…dürfte Euch ein Begriff sein). In „Welcome to the world, Baby Girl“ geht es um die Auswirkungen auf die Familie einer Frau, die sich für Passing entschieden hat, geschildert aus der Sicht ihrer erwachsenen Tochter. Das Buch werde ich noch einmal lesen, weil ich gerade in dem Thema drin bin.
Nella Larsens Buch hat mich allerdings etwas ratlos zurückgelassen.
Zum Einen, weil mir keiner der Protagonisten sonderlich sympathisch war – so konnte ich tatsächlich keinen wirklichen Bezug zur Geschichte finden. Vermutlich hat sich das Lesen deshalb so dahingeschleppt. Normalerweise brauche ich keine 4 Wochen für weniger als 150 Seiten.
Aus dem Kommentar von Brit Bennett schließe ich, dass Clare als Sympathieträgerin der Geschichte angelegt ist. Dagegen spricht für mich, dass in erster Linie aus der Sicht von Irene erzählt wird.
Alle Hauptfiguren in der Geschichte stehen eigentlich ziemlich auf der „Sonnenseite“ des Lebens und trauen doch etwas hinterher, das sie nicht haben.
Clare hat ihre Vergangenheit hinter sich gelassen und lebt gut gesettled in der Welt der Weißen mit einem Mann, der sie liebt – trotzdem sehnt sie sich nach der Vergangenheit zurück und versucht durch die Verbindung zu Irene zu ihren verleugneten Wurzeln zurück zu gelangen.
Irene hat alles, was man sich wünschen würde – einen erfolgreichen Mann, eine gesicherte soziale Stellung, zwei Kinder. Sie kämpft mit allen Mitteln darum, den Status Quo zu erhalten und setzt dabei ihre Ehe aufs Spiel.
Der erfolgreiche Arzt Brian träumt vom Auswandern nach Brasilien und will dafür alles hinter sich lassen. Als Motivation gibt er an, dass er seinen Kindern rassistische Erfahrungen ersparen will.
Jack liebt seine Frau, deren Geheimnis er nicht kennt. Das belastet die Beziehung einseitig. Seine Reaktion in der Schlußszene mit dem Fenstersturz interpretiere ich so, dass er seine Frau liebt und um sie trauert, obwohl er am Schluß ihr Geheimnis kennt.
So wie auch viele von Euch hat mich am meisten die Szene der Teeparty im ersten Teil beeindruckt, als die drei Frauen über die Ängste während der Schwangerschaft sprechen.
Insgesamt würde ich gerne mehr über den historischen Kontext wissen – die Geschichte spielt ja während der Harlem Renaissance (20er und 30er Jahre des 20. Jh.), die sich durch eine zunehmende Bedeutung von Künstlern mit afrikanischem Migrationshintergrund definierte. Im Vergleich zu den Jahrzehnten der Sklaverei und Recontruction nach dem Bürgerkrieg in den Südstaaten muß das Leben in Harlem geradezu ein Paradies gewesen sein – zumindest für die „Oberschicht“ aus diesem Buch. Gleiches dürfte auch auf Chicago zutreffen. Der Norden war ja schon vor dem Bürgerkrieg weitaus toleranter, und auch die strikte Segregation der 50er und 60er Jahre kam später.
Etwas anderes: Wie stellt Ihr Euch Irenes Hausangestellte Zulena vor? Für mich ist sie auf jeden Fall dunkler als Irene und das wird in meiner Vorstellung weitgehend durch den exotischen Vornamen suggeriert.
Genau über diese Wahrnehmung hirne ich immer noch am meisten - mein eigenes „Vorurteil“, der historische Kontext, die Entwicklung von weiblichen Vornamen seit der Erscheinung des Buches spielen da alle mit rein, und ich wundere mich, dass das so funktioniert. Wie seht ihr das?