Zu #50
Ich finde es faszinierend, dass sich die Wirkung des Buchs dadurch tatsächlich beeinflussen lässt (das ist auch die Botschaft von Borges' "Pierre Menard").
Allerdings, das finde ich auch.
Kann zum konkreten Fall hier gar nichts sagen, zur "Wanderhure" allerdings schon ("prima" Vergleich).
Wie in #49 geschrieben, fand ich den Buchtitel bisher leicht eklig. Seitdem ich dessen Autoren allein durch die in #42 erwähnte Dokumentation sympathisch finde, erscheint mir der Titel plötzlich in ganz anderem Licht, nämlich viel neutraler bis positiver... Na toll. 😏
Zu #53
Total interessant, Gibson:
Das eben sehe ich anders und kann es auch nicht ganz nachvollziehen.
Also gerade im Falle Murakamis, dessen Bücher nur so von Anspielungen strotzen, erhöht das bisschen "Wissen", das ich über den Autor habe, mein Lesevergnügen und -verständnis. Aus der Wikipedia geklaut:
"Den zentralen Figuren in seinen Werken verleiht Murakami oftmals autobiografische Züge. Sie teilen die Vorliebe ihres Schöpfers für einfaches, schmackhaftes Essen, hören Jazz oder Rock und verbringen ihre Zeit in guten Bars. Oft zeichnen sie sich durch eine vielschichtige Tiefe aus, die Murakami wortreich und bildhaft zu beschreiben oder in wenigen Sätzen zu umreißen vermag.“
Entweder das Buch funktioniert für mich, oder es tut das nicht. Ob der Autor es so erlebt hat, ist für mich unerheblich.
Zum ersten Satz: Klar. Zum 2.: Na ja, erlebt ist für mich auch unerheblich. Aber Fiktion (in Bezug auf Belletristik) ist ja sowieso eher nicht-vom-Autor-Erlebtes.
Wiederum fällt mir dazu gerade John Irving ein, in dessen Romanen auch einiges an Autobiographischem wiederkehrt (Lieblingsquelle aka Laienlexikon):
"Einige Motive sind in Irvings Romanen häufig zu finden: Körperbetonte Sportarten (Ringen, Football); wiederkehrende Regionalbezüge bzw. Schauplätze (Maine, New Hampshire, Staten Island, auch Europa, v. a. Wien und Amsterdam); Charakteristika von Figuren (schüchterne Männer, starke Frauenfiguren, vaterlos aufwachsende Söhne, Prostituierte); Beziehungen (sexuelle Beziehungen zwischen älteren Frauen und jüngeren Männern, Inzest, häufig homoerotische Beziehungen) und Milieus (Rotlichtmilieus, Internatsschulen, Hotels/Pensionen, Zirkus) sowie die Schriftstellerei, Motorräder, Religion und immer wieder Bären. Manche Kritiker werfen Irving vor, sehr autobiographisch zu schreiben und sich ständig zu wiederholen; ein Problem, mit dem er sich auch in Witwe für ein Jahr auseinandersetzt."
Und wenn es z.B. ein Mann schafft, ein Buch aus Sicht einer Frau zu schreiben, das mich überzeugt und in der ich mich wiederfinde, dann fühle ich mich nicht hintergangen, sondern finde, dass es ein toller Autor ist.
Zustimmung. Mein Beispiel: Zadie Smith, White Teeth [mMn sehr lesenswertes Buch], wo die halb-jamaikanische, jüngere Autorin [die ihren Vornamen übrigens von Sadie zu Zadie änderte] zu einem beträchtlichen Teil aus der Perspektive eines älteren, weißen Mannes berichtet:
„White Teeth is a 2000 novel by the British author Zadie Smith. It focuses on the later lives of two wartime friends—the Bangladeshi Samad Iqbal and the Englishman Archie Jones—and their families in London. The novel centres on Britain's relationship with immigrants from the British Commonwealth.“
https://en.wikipedia.org/wiki/White_Teeth
Auch Zeitzeugen sind ja nur eine einzige, sehr subjektive Stimme. Wenn jemand Drama X auf eine bestimmte Weise erlebt hat, bedeutet es ja nicht, dass es für alle und objektiv so war.
Logo, so ist es ja mit allen persönlichen Erlebnissen. Trotzdem lasse ich Anne Frank als Vertreterin anderer ZeitzeugInnen durchgehen, lasse mich durch ihre Beschreibung „mitreißen“ und sehe sie in gewissem Maße als stellvertretend an.
Bei Geschichten über wahre Ereignisse sollte die Fakten stimmen, aber ich finde im Prinzip, dass jeder über alles schreiben 'darf'.
Finde ich auch, solange die Fakten (so sie als solche im Roman thematisiert werden) „ausgewogen“ dargestellt sind.
(Im Prinzip deshalb, weil ich aus Gründen der weißen, europäisch-amerikanischen Dominanz im Buchmarkt es im Moment schon haarig fände, wenn sich ein weißer New Yorker Investmentbanker als schwarze Kleinbäuerin im Sudan ausgibt. Das ist aber, wie oben schon geschrieben, ein politischer Grund, kein Literarischer.)
Na ja: „ausgibt“? Wenn der genannte Autor Fiktion schreibt, gibt er sich doch nicht für eine der Personen aus, oder verstehe ich dich falsch?
Er schreibt aus deren Sicht, ja, aber warum auch nicht? Wenn es glaubhaft dargestellt und gut recherchiert ist, würde ich einem Mann z. B. auch zugestehen, über eine Geburt oder Vergewaltigung aus Frauensicht schreiben zu schreiben, wie ja auch vielfach geschehen.