Ein Minenfeld, in der Tat, auch für deutsche MuttersprachlerInnen. Je nachdem, wann der Erwerb der Lese-/Schreibfähigkeiten geschah, gibt es unterschiedliche "Gefühle" für richtig und falsch.
Vor der Rechtschreibreform - diese ja auch noch mehrstufig und zeitweilig unvorhersagbar - konnte ich mit Korrekturlesen noch Geld verdienen. Da ich eine gewisse eidetische Begabung habe, genügte es fast (ja, nur fast), eine Seite als ganzes (also die ganze Seite auf einen Blick; heute: als Ganzes, oder als ganze) wahrzunehmen. Meine Wahrnehmung fokussierte sich auf das Ungewohnte, also Wörter, die ich bisher nicht oder nicht gut genug kannte, und solche, die einfach falsch geschrieben oder sogar gebraucht waren.
Nach der Rechtschreibreform funktioniert das nicht mehr. Es ist so, als ob ich eine neue Sprache im Erwachsenenalter lernen würde. Die Hirnforschung sagt ja, dass das erstens nur mit erheblicher Mühe und zweitens niemals so gut gelingt wie vor der Pubertät, und besonders in den kleinkindlichen Jahren des Spracherwerbs überhaupt.
Heute blicke ich auf eine Druckfahne und sehe rot. An den Stellen, die mir fraglich erscheinen, kann ich aber nicht mehr so leicht entscheiden. Vielleicht ist das heute der neu gesetzte Standard, vielleicht auch eine akzeptierte Variante, oder aber eine heute als falsch geltende Schreibung. Ich muss nachschlagen, und statt einer bis zwei Minuten für die Feststellung einer fehlerfreien Seite brauche ich eher zehn. In den ersten Jahren nach der Reform waren es noch viel mehr; sie hat ja keine erkennbare Logik.
Was allerdings das Amtliche (!) Regelwerk vorgibt, ist mir dabei herzlich egal. Viele Reformen finde ich akzeptabel, manche unverständlich, fast alle unnötig. Es hätte einen großen Wurf gebraucht, nicht nur den Kompromiss, den wir jetzt haben. Mit einer radikalen Vereinfachung - wie z.B. in den Rechtschreibreformen in den Niederlanden oder Norwegen in den 1920ern - hätte ich viel leichter umgehen können. Logik und Phonologie vor Tradition und Etymologie, das wäre durchschaubar geblieben.
Es geht also nicht nur dir als "Fremdsprachler" so. Wenigstens ist das meiste, das einmal richtig war, heute nicht falsch. Oft genug aber ist es nicht mehr die Standardschreibung und eine nicht zu empfehlende Variante.
Dass im privaten Schriftverkehr aber keine öffentlichen Regeln befolgt werden müssen, halte ich in einer freiheitlich-aufklärerischen Gesellschaft für selbstverständlich. In jeder Sprache.