Kommentar | Meine liebe soniabeyer,
du hast völlig Recht, dass hispanic-american mit seiner in Klammern stehenden Passage "Latinos, also Nachfahren der Spanier" für Irritation sorgen kann. Gleichwohl bleibe ich bei meiner Auffassung, dass die Formulierung an dieser Stelle kein Fauxpas ist, auf dem es herumzureiten gilt.
Wenn nämlich "also Nachfahren der Spanier" nicht als Erläuterung, sondern als "Spezifizierung" von Latinos gemeint ist, ist der Autor auf der sicheren Seite. Diese Interpretation der zugegebenerweise missverständlichen Formulierung liegt insofern nahe, als es selbstverständlich nicht Maya, Olmeken oder Mixteken waren, die die heute us-amerikanischen Territorien besiedelt und das Spanische als Sprache dort etabliert haben, sondern Spanier bzw. deren Nachfahren. Dabei möchte ich auch anmerken, dass alleine das Wort "Latino" die Sprecher indigener Sprachen ja bereits ausschließt, denn sie sprechen eben keine lateinische Muttersprache.
Dass sich Nahuatl-Sprechen nicht als Spanier verstehen, bedarf wohl keiner Erklärung. Sie stellen aber auch heute nicht, die Mehrheit der 45 Mio. amerikanischen Spanischsprecher. Das sind in aller erster Linie Mestizen. Sie haben einen beachtlichen Teil ihrer indigenen Tradition über die Kolonialzeit gerettet und weitgehend in den christlichen Glauben integriert - oder umgekehrt, wie du möchtest. Dass sie gleichwohl Nachfahren von Spaniern und natürlich Indigenen sind, steht wohl dennoch außer Frage.
Das Bewusstsein der lateinamerikanischen Mestizen als Nicht-Spanier will ich weder in Frage stellen, noch kleinreden oder gar kritisieren. Selbstverständlich habe sie ihre eigene Kultur. Um in Mexiko Spanierhasser zu sein, braucht man aber kein indigenes Blut. Praktisch alle Unabhängigkeitshelden waren Kreolen, also der Abstammung her reine Europäer: Bolívar, Sucre, San Martín, Hidalgo, Iturbide (und Washington). Dom Pedro von Brasilien war sogar ein Europäer. Der Einzige, der mir spontan einfällt, auf den das nicht zutrifft, ist Toussaint-Louverture, der Befreier Haitis. Er war Schwarzer.
Also, selbst die "reinen" Nachfahren der Spanier haben ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein. Das haben auch die Brasilianer gegenüber den Portugiesen. Gleichwohl beruft sich dort praktisch niemand auf indigene Wurzeln. Diesen Trend gab es einmal bei den Avantgardisten während der zwanziger Jahre. Aber kulturell ist ihr afrikanisches Erbe viel bedeutender.
Dein Einsatz für das Nationalbewusstsein der Mexikaner und den Stolz auf ihr indigenes Erbe in allen Ehren. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass du einen Anlass gesucht hast, dass einmal wieder loszuwerden, ohne dich für die eigentliche Frage zu interessieren. |
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