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    Gleisarbeiter im Anzug

    Comment
    In der 1974/75 produzierten Folge "Portrait eines Mörders" der Serie Derrick hat es einen einfachen Gleisarbeiter, der am Abend im Ausgang einen Anzug und Krawatte trägt; nota bene beim Biertrinken oder Kegeln in der Kneipe (nicht in der Oper oder beim philharmonischen Konzert).

    Das finde ich aus heutiger Sicht ziemlich seltsam. War es zu der Zeit für einen einfachen Arbeiter üblich, im Ausgang einen Anzug zu tragen?
    Author DaLi (571983) 28 Aug 10, 23:46
    Comment
    ... nicht 'im Ausgang' sondern 'beim/zum Ausgehen' . . .

    ... kam damals nicht gerade der Begriff 'Akademikerschwemme' auf ? . . .

    Siehe: http://www.zeit.de/1977/51/Der-Mensch-als-Ware . . .

    Quelle: DIE ZEIT, 09.12.1977 Nr. 51
    #1AuthorDaddy . . . (533448) 29 Aug 10, 00:31
    Comment
    Danke für die Korrektur, Daddy. Da habe ich wieder was gelernt. In der Schweiz ist es allerdings üblich, in den Ausgang zu gehen.

    Ich kann jedoch nicht den Zusammenhang mit der Akademikerschwemme erkennen...
    #2Author DaLi (571983) 29 Aug 10, 10:30
    Comment
    ... na ja, stell dir einfach vor, daß dieser Arbeiter ein Studierter war, der, magels Arbeitsplätzen auf seinem Fachgebiet, jener Tätigkeit als Broterwerb nachging . . .
    #3AuthorDaddy . . . (533448) 29 Aug 10, 11:00
    Comment
    Nee, nee, dieser Arbeiter war kein Studierter, sondern ganz einfach ein kleiner Arbeiter.
    #4Author DaLi (571983) 29 Aug 10, 11:13
    Comment
    ... dann biete ich noch den 'Arbeiterpriester' an . . .

    http://de.wikipedia.org/wiki/Arbeiterpriester . . .
    #5AuthorDaddy . . . (533448) 29 Aug 10, 11:26
    Comment
    http://www.20jahrhundert.de/70er-jahre-mode.html

    Zitat aus dem Artikel:
    "Die 70er Jahre Herrenmode des 20. Jahrhunderts war dadurch gekennzeichnet, dass die Blue Jeans nicht mehr alleine Arbeitskleidung war, sondern zunächst von Schülern und Studenten auch während des Alltags getragen wurde. Für den Besuch des Theaters galt sie zur damaligen Zeit aber noch nicht als schick.Ein weiteres beliebtes Beinkleid der 70er Jahre Herrenmode stellte die Schlaghose dar."

    In den 70er Jahren war bei Arbeitern wie Angestellten überwiegend der Anzug mit Hemd und Krawatte ganz normale "Alltags- und Ausgangskleidung". Wer am Bau oder bei anderen Arbeiten seine Kleidung schmutzig machte, trug dafür - wie heute auch - spezielle Arbeitskleidung. Nach der Arbeit wusch oder duschte man sich und zog seine Alltagskleidung an. Und so ging man dann eben auch in die Kneipe oder zum Kegeln.

    Edit:
    Wichtig wäre vielleicht auch noch zu erwähnen, dass damals die meisten "kleinen" Arbeiter und Angestellte längst nicht so eine große Auswahl an Kleidungsstücken im Schrank hängen hatten wie die meisten Leute heute. Man unterschied zwar seit den 60er Jahren deutlich zwischen Arbeits- und Freizeitkleidung, aber viele hatten eben außer ihrer Arbeitskleidung nur einen "Sonntagsanzug" und zwei, drei "Alltagsanzüge", evtl. noch ein paar Hosen, die zu den Jackets der Anzüge passten.
    #6Authorminima (507790) 29 Aug 10, 12:03
    Comment
    An die Sendung kann ich mich erinnern. Das war weder damals noch heute üblich, sondern einfach die spezielle Macke dieses Mannes.
    #7Author bluesky (236159) 29 Aug 10, 13:27
    Comment
    Ich weiß nicht, ich weiß nicht.

    Niemandem, der den ganzen Tag im Blaumann herumläuft oder schmutzigmachende Arbeiten verrichtet, kann ich verdenken, dass er sich in der Freizeit gern aufbrezelt. Bei mir ist es umgekehrt: Wenn ich den ganzen Tag in Schlips und Kragen herumlaufen muß, werfe ich mich nach Feierabend in Gammelklamotten, und niemand siehr mir den Banktrottel mehr an.
    #8Author Werner (236488) 29 Aug 10, 14:37
    Comment
    @ bluesky: Ich bin in den 70ern aufgewachsen. Mein Vater (mittlerer Angestellter) tauschte, wenn er von der Arbeit kam, weder Hemd noch Hose gegen "legere" Hausklamotten, sondern zog nur seine Anzugjacke und seine Krawatte aus. Wenn er dann nochmal wegging, dann entweder im gleichen Outfit wie vorher oder evtl. - je nach Jahreszeit - mit einer Strickjacke oder einem Pullover statt der Anzugjacke.

    Einer meiner Cousins (Bauarbeiter) zog nach der Arbeit einen seiner Alltagsanzüge an und ging so nachhause (oder noch irgendwohin auf ein Bier).

    Für einen meiner Onkel (eine Zeitlang Bergarbeiter im Ruhrgebiet) kann ich das bestätigen, was Werner sagte: Der lief in seiner Freizeit für meinen Geschmack damals sehr aufgebrezelt rum, wahrscheinlich, weil er unter Tage extrem schmutzig wurde.
    #9Authorminima (507790) 29 Aug 10, 15:28
    Comment
    Mein Vater hat als Werkzeugmacher gearbeitet und der hat genau zwei Freizeithosen (eine kurze Hose und eine Kniebundhose) besessen, die ausschließlich im Urlaub zum Einsatz kamen. Ansonsten hat er immer Anzug und Hemd getragen. Nie wäre es ihm gefallen, ohne Krawatte ein Lokal zubetreten. Ein Hut gehörte natürlich auch zu seiner Ausstattung.
    #10Author urihoch3 (656420) 29 Aug 10, 15:45
    Comment
    Mein Vater war auch Werkzeugmacher, der hat aber außer zu Hochzeiten oder Beerdigungen nie Anzug und Krawatte getragen.

    Der Vater eines Bekannten war Zöllner an der Grenze. Dermußte dienstlich natürlich Langbinder tragen, privat hat er das konsequent verweigert. Nicht mal auf der Hochzeit seines Sohnes.

    Ist halt wohl doch indivdüll.
    #11Author bluesky (236159) 29 Aug 10, 15:52
    Comment
    @bluesky: Mein Vater ( 1921) hat sich nicht unbedingt mit der Rolle des Arbeiters identifiziert und die schlimmste Beschimpfung seinerseits war das Wort „Prolet“. Mit denen wollte er sich unter keinen Umständen gemein machen.
    #12Author urihoch3 (656420) 29 Aug 10, 16:10
    Comment
    Re #10: Auto-Corr.: Nie wäre es ihm eingefallen . . . ;-)
    #13AuthorDaddy . . . (533448) 29 Aug 10, 19:19
    Comment
    Aus den 60ern weiß ich noch, dass ein Arbeiter im Anzug kein ungewöhnlicher Anblick im abendlichen Straßenbild war. Der ein oder andere konservative Arbeiter wird das wohl auch in die 70er hinüber gerettet haben. Ich halte dieses Detail für eine 70er-Jahre-Episode deshalb nicht für falsch.
    #14Author lyri (236943) 29 Aug 10, 21:22
    Comment
    urihoch3 hat es in Beitrag #10 bereits anklingen lassen (und in #12 weiter verdichtet):
    Gerade bei sozial nicht sonderlich hoch Positionierten war das Bestreben, sich "korrekt" zu kleiden, lange Zeit zentraler Teil des Selbstverständnisses. Man war ja schließlich auch wer und wollte das augenfällig demonstrieren.
    Das Gemeine an dem Ganzen: Die aus der Oberschicht waren längst dazu übergegangen, sich diesbezüglich Nachlässigkeiten zu erlauben. Sie konnten sich ihrer Sache ja auch sicher sein, es bestand kaum Gefahr, dass ein Eingeweihter sich da vertan hätte. Der im bemüht korrekten Anzug aus dem Quelle-Katalog war zuverlässig der Vorarbeiter und der im lässigen Pullover (dem der Kenner noch im Schmuddel-Stadium, so das denn je eintrat, die Herkunft aus der sündteuren Boutique ansah) war einer der Schönen und Reichen.
    #15Author late bird (666148) 30 Aug 10, 00:31
    Comment
    Mir fällt gerade auf, das es sich hier womöglich um ein typisch deutsch-österreichisches Phänomen handeln dürfte: Auf 3 sat läuft gerade ein uralter französischer Krimi (wohl späte Fünfziger- oder frühe Sechzigerjahre), und da saßen eben Lino Ventura und sein Gegenüber in gröbstem Räuber-Zivil am Bistro-Tisch, unter lauter ähnlich Gekleideten. Ich hab nur eine halbe Szene mitangesehn, aber das war genug um mitzubekommen, dass es sich hier durchwegs um "einfache Leute aus dem Volk" handelte.
    Vielleicht ist das Streben, sich in der Kleidung sich "denen da oben" anzupassen, eine Marotte besonders obrigkeitshöriger Kulturen. DaLis von Befremden über solches over-dressing geprägter Initialbeitrag ist ja auch aus Schweizer Perspektive verfasst...
    #16Author late bird (666148) 30 Aug 10, 00:54
    Comment
    Ein s nachgereicht zum fünften Wort meines letzten Beitrages.
    #17Author late bird (666148) 30 Aug 10, 00:55
    Comment
    Mir kommt das ganz normal vor. Damals war ein Anzug das alltägliche Gewand der Männer im bebauten Gebiet. In den Künetten der Wiener Straßenbaustellen arbeiteten jugoslawische Gastarbeiter - im schmuddeligen Anzug. Zwar ohne Krawatte und mit Kappe statt Hut, aber nicht im Blaumann. Man hatte ihnen offenbar nichts zur Verfügung gestellt.
    #18Authorblumento (718321) 30 Aug 10, 08:52
    Comment
    #19Author manni3 (305129) 30 Aug 10, 11:40
    Comment
    Ich (und so alt bin ich gar nicht) kann mich auch noch an eine Zeit erinnern, in der Kindern ihre Ausstattung noch auf den Leib geschneidert wurde, und Jogginganzüge&Co. noch keine akzeptable Straßen/Tagesbekleidung waren, schon gar nicht für Erwachsene.
    #20Author Lady Grey (235863) 30 Aug 10, 12:03
    Comment
    Noch in den sechziger und siebziger Jahren, war der Arbeiter sonn- und feiertags besser gekleidet als sein Vorgesetzter.
    und heute:
    akzeptabel als Straßen/Tagesbekleidung von Erwachsenen sind Jogginganzüge&Co. allenfalls beim Proletariat. Sarrazin hat das ja gerade wieder prägnant gesagt.
    #21Author Pachulke (286250) 30 Aug 10, 13:52
    Comment
    @ Pachulke:

    Als Straßenkleidung von Erwachsenen, die sich den Einkauf in Edelboutiquen leisten können und sich sicher nicht zum Proletariat zählen, sind z.B. auch absichtlich eingerissene oder teilentfärbte Jeans akzeptabel. Hauptsache, das Logo der Luxusmarke ist gut sichtbar. *brrrrr*

    Aber bitte verschone uns mit Sarrazins Äußerungen! Der Mann disqualifiziert sich selbst von Tag zu Tag mehr!
    #22Authorminima (507790) 30 Aug 10, 14:10
    Comment
    Ich kann mich daran erinnern, dass wir auch als Kinder Werktagskleider und Sonntagskleider hatten. Die Sonntagskleider waren ein edler, mussten geschont werden und durften auf keinen Fall schmutzig werden. Also sonntags kein wildes Rumgetobe mit den Sandkastenfreunden :-(
    #23Author Hadassa (704235) 30 Aug 10, 17:04
    Comment
    @Hadassa:

    Achja, stimmt! Ich war ja oft mit meinen Eltern am Wochenende wandern, da war die Kleidung zum Glück einfach nur praktisch und bequem!
     
    Aber meine Tante in Amerika hatte für mich (ihre erste Nichte) extra "feine" Kleidchen geschickt. Mit Spitzenborte! Und eine Art "Schutenhütchen", auch mit (sehr kratzender) Spitze besetzt! *grusel*

    Und weil man der Tante ja Fotos schicken musste, wie allerliebst die Nichte in den Kleidchen aussah, hat man mich - so ausstaffiert - in den Park geschleppt und vor jedem erdenklichen Blumenbeet fotografiert... Mich schaudert's heute noch, wenn ich daran denke!
    #24Authorminima (507790) 30 Aug 10, 17:48
    Comment
    Vielen Dank, liebe Leute, für die vielen erhellenden Beiträge über die Kleiderfrage heute und früher. Interessant auch late birds Hinweis, dass man sich gemeinerweise auch mit besserer Kleidung nicht von der Unterschicht lösen kann.
    #25Author DaLi (571983) 30 Aug 10, 23:41
     
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