Comment | "legere" und Priester - dazu eine religionsgeschichtliche Beobachtung, die ich interessant finde:
Cicero hält das Verbum relegere (wieder durchlesen, im Sinne von: wieder durchgehen), als Wurzel des Worts religio. Römische Religion besteht nämlich im gewissenhaften Befolgen kultischer Pflichten. Es handelt sich bei Religion nach römischem Verständnis um Form, anders gesagt: um das objektive Gegenstück der subjektiven pietas, Frömmigkeit. In diesem Sinne ist für religio recht gleichgültig, ob man subjektiv an die Götter glaubt: dass die Riten wie vorgesehen durchgeführt werden, ist Teil römischer Staatsräson.
Lactantius hingegen leitet religio von religere - zurückbinden, festbinden - her. Seine Herleitung hat also mit "lesen" nichts mehr zu tun. Das will besagen, dass religio die Gebundenheit der Seele an Gott sei; aus diesem Grunde hält man sie im Mittelalter für eine Tugend, ungefähr im Sinne des heutigen Worts der Religiosität. Religio und pietas sind in eins zusammengefallen.
Man könnte das weiterführen und sagen, dass die Reformation zumindest in ihren radikaleren Richtungen (im Calvinismus, besonders aber in den Täuferbewegungen) die religio im römischen Sinne ganz fallen ließ. Die Reformation kann man, wenn man will, als letzte Versubjektivierung des Glaubens bezeichnen; als Inhalt, dem keine besondere Form mehr gegenüber steht bzw. der kein besonderes Gewicht mehr auf sie legt. (Auch insoweit, wie an tausend anderen Beispielen zu zeigen, ist der Protestantismus ein Entweder-Oder und der Katholizismus ein Sowohl-als-auch.) |
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